DS 3/004 Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der geschlechtlichen Identität

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Manfred Klausbrück

  • Deutscher Bundestag Drucksache 3/004
    3. Wahlperiode 16.02.2021



    Gesetzentwurf

    der Abgeordneten Yannick Bürgermann, Aaron Förster, Prof. Ben Hagen, Phoenix Schmid, Marc Slober, Dr. Luca Welle und der Fraktion der FDP


    Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der geschlechtlichen Selbstbestimmung

    A. Problem und Ziel

    Menschen, deren Geschlechtsmerkmale nicht mit ihrer Geschlechtsidentität übereinstimmen, haben in Deutschland die Möglichkeit, sich medizinisch und juristisch einer Transition zu unterziehen. Das juristische Änderungsverfahren wird in Deutschland durch das sogenannte Transsexuellengesetz (TSG) normiert. Das TSG trat im Jahr 1981 im Zuge einer gesellschaftlichen Liberalisierung in Kraft. Es sieht zwei Optionen für Menschen vor, deren Geschlechtsidentität nicht mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht übereinstimmt: Die Änderung des Namens in einen Namen des anderen Geschlechts sowie die formelle Änderung der Geschlechtszugehörigkeit über den Personenstand. Voraussetzung für die Änderung des Namens sind nach derzeitiger Rechtslage zwei Gutachten von Sachverständigen, die mit diesem Gebiet ausreichend vertraut und voneinander unabhängig tätig sind. Diese müssen bestätigen, dass die antragstellende Person seit mindestens drei Jahren unter dem Zwang leidet, entsprechend ihrer vom Personenstand abweichenden Geschlechtsidentität zu leben. Die Entscheidung, ob der Name geändert werden kann, trifft das dafür zuständige Amtsgericht auf Grundlage der Gutachten. Die gleichen Voraussetzungen gelten für eine Änderung des Personenstands. Bis 2011 waren operative Maßnahmen zur Veränderung des Geschlechts sowie Fortpflanzungsunfähigkeit Voraussetzung für die Änderung des Personenstands. Obwohl das Bundesverfassungsgericht diese Voraussetzungen als verfassungswidrig und folglich unanwendbar erkannt hat (1 BvR 3295/07), sind sie aus dem Wortlaut des aktuellen TSG nicht gestrichen worden.

    Die Hürden für die Änderung des Geschlechtseintrages und die Änderungen des Namens sind weiterhin hoch. So wird die Begutachtung durch Sachverständige von den antragstellenden Personen häufig als entwürdigend empfunden. Das Verfahren der Namensänderung und der formellen Geschlechtsanpassung kann mehrere Monate oder Jahre dauern und ist für die antragstellenden Personen oft psychisch belastend. Die Verfahrenskosten von bis zu mehreren tausend Euro müssen häufig selbst getragen werden.


    Nicht nur hinsichtlich der Voraussetzungen für die Namens- und Personenstandsänderung ist das aktuelle TSG dringend reformbedürftig. Der Regelungsbedarf im Zusammenhang mit Transgeschlechtlichkeit geht weit über die Änderung des Namens und des Personenstands hinaus. Unzureichend geregelt sind darüber hinaus die Elternschaft transgeschlechtlicher Personen, das Offenbarungsverbot des früheren Geschlechts und Namens, die Gesundheitsversorgung sowie ausreichende und flächendeckende Aufklärungs- und Beratungsangebote.
    Eine Reform des TSG wird in Deutschland seit langem sowohl von den Betroffenen, aber auch von Wissenschaft und Politik gefordert. Das aktuelle TSG basiert auf einer medizinischdiagnostischen Vorstellung von „Transsexualität“ als psychischer Erkrankung, die nach den aktuellen Erkenntnissen der Sexualforschung und der 2019 veröffentlichten Internationalen
    statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD-11) der Weltgesundheitsorganisation (WHO) nicht mehr zu vertreten ist.

    Seit 2015 empfiehlt der Europarat seinen Mitgliedstaaten über die Resolution 2048, dass Personen „schnell und transparent“ eine Änderung der Geschlechtsangabe und des Namens in offiziellen Dokumenten vornehmen lassen können sollen. Das Verfahren solle allein auf der selbstbestimmten Entscheidung der jeweiligen Person beruhen – ohne Zwang zu vorherigen psychologischen Begutachtungen, medizinischen Behandlungen oder Operationen. Zahlreiche Staaten haben in jüngster Zeit die Vornamens- und Personenstandsänderung reformiert, indem sie die Begutachtungspflicht abgeschafft haben. Seit 2018 ist es Menschen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung auch in Deutschland möglich, über den § 45b des Personenstandsgesetzes Vornamen und Geschlechtseintrag der eigenen Geschlechtsidentität entsprechend anzupassen. Laut Bundesregierung und Urteil des Bundesgerichtshofs (XII ZB 383/19) ist die Anwendung des §45b PStG jedoch auf intergeschlechtliche Personen beschränkt.

    Transgeschlechtlichen Menschen ist die Selbstbestimmung über die geschlechtliche Identität in Deutschland weiterhin nicht möglich. Auch intergeschlechtliche Menschen sind in ihrer geschlechtlichen Selbstbestimmung weiterhin eingeschränkt. Obwohl medizinische Leitlinien und der Deutsche Ethikrat seit Jahren davon abraten, finden weiterhin genitalverändernde chirurgische Eingriffe an intergeschlechtlichen Kindern statt. Sie sind ein gravierender Eingriff in die Autonomie und körperliche Unversehrtheit. Intergeschlechtlichen Personen ist es weiterhin noch nicht möglich, ihren Geschlechtseintrag oder die Entscheidung gegen einen Geschlechtseintrag im eigenen Reisepass widerzuspiegeln.

    B. Lösung

    Um allen Personen gleichermaßen Selbstbestimmung über die geschlechtliche Identität zu ermöglichen, schafft der Gesetzentwurf das bisherige Transsexuellengesetz sowie den § 45b
    des Personenstandsgesetz ab. Alternativ führt er ein neues „Gesetz zur Selbstbestimmung über die Geschlechtsidentität“ ein, welches allen Personen die Selbstbestimmung über die geschlechtliche Identität erlaubt.


    Medizinische Leistungsansprüche bei Geschlechtsinkongruenz und Intergeschlechtlichkeit werden im SGB V verankert. Genitalverändernde Operationen an intergeschlechtlichen Kindern werden wirksam verboten, sofern sie nicht zur Abwendung einer Gefahr für das Leben oder einer erheblichen Gefahr für die Gesundheit des Kindes dienen. Das Paßgesetz wird so geändert, dass künftig auch die Geschlechtsangabe „X“ möglich ist.

    C. Alternativen

    Keine.

    D. Haushaltsausgaben ohne Erfüllungsaufwand

    Keine.

    E. Erfüllungsaufwand

    Durch den Wegfall der Voraussetzung gutachterlicher Überprüfung für die Änderung der Namen oder des Geschlechtseintrages kann es zu einem Anstieg der Anträge auf Änderung des Geschlechteintrages kommen. Durch das vereinfachte Verfahren ist jedoch mit einer deutlichen Verringerung des Aufwandes für die Bearbeitung des einzelnen Antrages zu rechnen, so dass insgesamt mit einem Minderaufwand der Verwaltung zu rechnen ist.

    Kosten entstehen für die Information über die rechtlichen Möglichkeiten sowie für weitere Aufklärungs- und Beratungsangebote.

    Den gesetzlichen Krankenkassen entstehen Kosten für die Übernahme von Leistungen im Rahmen der Anpassung von Geschlechtsmerkmalen.

  • Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der geschlechtlichen Selbstbestimmung

    vom TT.MM.JJJJ


    Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:


    Artikel 1
    Aufhebung des Transsexuellengesetzes

    Das Gesetz über die Änderung der Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit in besonderen Fällen (Transsexuellengesetz – TSG) vom 10. September 1980 (BGBl. I S. 1654), das zuletzt durch Artikel 2 Absatz 3 des Gesetzes zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts vom 20. Juli 2017 (BGBl. I S. 2787) geändert worden ist, wird aufgehoben.

    Artikel 2
    Gesetz zur Selbstbestimmung über die Geschlechtsidentität (Geschlechtsidentitätsgesetz
    – GiG)

    I n h a l t s v e r z e i c h n i s
    § 1 – Begriffsbestimmung
    § 2 – Selbstbestimmung über die Geschlechtszuordnung, Wahrung der Geschlechtsidentität, Rechte

    § 3 – Erklärung zur Geschlechtszugehörigkeit und Namensführung
    § 4 – Gerichtliches Verfahren
    § 5 – Wirkungen der Entscheidung
    § 6 – Folgeerklärungen
    § 7 – Offenbarungsverbot
    § 8 – Anspruch auf Dokumenten- und Datenberichtigung
    § 9 – Renten und vergleichbare wiederkehrende Leistungen
    § 11 – Verbot genitalverändernder chirurgischer Eingriffe
    § 12 – Aufklärung und Beratung
    § 13 – Ordnungswidrigkeiten


    § 1
    Begriffsbestimmung

    Für die Zwecke dieses Gesetzes bezeichnet der Ausdruck:
    1. „Geschlechtsidentität“ alle geschlechtsbezogenen Aspekte der subjektiv empfundenen menschlichen Identität;
    2. „Geschlechtszuordnung“ die Zuordnung einer Person zu einem Geschlecht oder die Nichtzuordnung zu einem Geschlecht.


    § 2
    Selbstbestimmung über die Geschlechtszuordnung, Wahrung der Geschlechtsidentität, Rechte

    (1) Jede Person hat das Recht auf freie Entwicklung der Persönlichkeit entsprechend ihrer Geschlechtsidentität.


    (2) Niemand darf wegen der Geschlechtsidentität oder Geschlechtszuordnung körperlich oder seelisch misshandelt oder diskriminiert werden.


    (3) Die rechtliche Geschlechtszuordnung unterliegt der Selbstbestimmung als höchstpersönliches Recht.


    (4) Jede Person hat das Recht auf Achtung und respektvolle Behandlung entsprechend der eigenen Geschlechtsidentität sowie darauf, anhand ihrer persönlichen Dokumente entsprechend identifiziert zu werden.


    (5) Der Staat schützt die ungehinderte und diskriminierungsfreie Ausübung der Rechte nach diesem Gesetz und fördert die gleichberechtigte Teilhabe unabhängig von der Geschlechtsidentität und der Geschlechtszuordnung.


    (6) Das Recht auf freie Entwicklung der Persönlichkeit entsprechend der Geschlechtsidentität umfasst das Recht, über die Durchführung medizinischer Maßnahmen zur Modifizierung des eigenen Körpers im Hinblick auf Erscheinung und körperliche Funktionen unbeeinträchtigt und selbstbestimmt zu entscheiden.


    § 3
    Erklärung zur Geschlechtszugehörigkeit und Namensführung

    (1) Personen, deren Personenstandseintrag von ihrer Geschlechtsidentität abweicht, können gegenüber dem zuständigen Standesamt erklären, dass die Angabe zu ihrem Geschlecht in einem deutschen Personenstandseintrag durch eine andere in § 22 Absatz 3 des Personenstandsgesetzes vorgesehene Bezeichnung ersetzt oder gestrichen werden soll. Liegt kein deutscher Personenstandseintrag vor, können sie gegenüber dem Standesamt erklären, eine der in § 22 Absatz 3 des Personenstandsgesetzes vorgesehenen Bezeichnungen für sie zu verwenden oder auf die Angabe einer Geschlechtsbezeichnung zu verzichten, wenn sie Deutsche im Sinne des Grundgesetzes sind oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben.


    Mit der Erklärung können auch neue Vornamen bestimmt werden und geschlechtsspezifische Nachnamen und Bestandteile von Nachnamen geändert werden. Die Erklärungen müssen öffentlich beglaubigt werden; sie können auch von den Standesbeamten beglaubigt oder beurkundet werden.


    Personen ohne deutsche Staatsangehörigkeit sollen bei der Abgabe ihre Kenntnis darüber bestätigen, dass es von den im Herkunftsstaat geltenden Vorschriften abhängig ist, ob eine Anerkennung der nach diesem Gesetz erfolgten Änderung von Namen oder der Geschlechtszuordnung erfolgt und welche Rechtsfolgen hieran geknüpft werden.


    (2) Die Erklärung nach Absatz 1 kann nur persönlich abgegeben werden. Bei Minderjährigen bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres bedarf die Erklärung der Zustimmung der sorgeberechtigten Person. Stimmt die sorgeberechtigte Person nicht zu, so ersetzt das Familiengericht die Zustimmung im Verfahren, wenn die Änderung der Geschlechtszugehörigkeit oder des Namens dem Kindeswohl nicht widerspricht; das Verfahren vor dem Familiengericht ist eine Kindschaftssache nach Buch 2 Abschnitt 3 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit.


    (3) Die Feststellung, dass der Personenstandseintrag von der Geschlechtsidentität abweicht, obliegt der antragstellenden Person. Die erklärende Person hat gegenüber den Standesbeamten zu versichern, dass sie sich der Bedeutung und Tragweite ihrer Entscheidung zur Wahl eines anderen oder keines Geschlechtseintrages im Personenstandsregister sowie der Änderung des oder der Namen hinreichend bewusst ist. Dabei genügt es, dass die erklärende Person zur Bildung und Betätigung eines natürlichen Willens im Stande ist. Absatz 2 bleibt unberührt.


    (4) Für die Entgegennahme der Erklärung ist das Standesamt zuständig, das das Geburtenregister für die betroffene Person führt. Ist die Geburt nicht in einem deutschen Geburtenregister beurkundet, so ist das Standesamt zuständig, das das Eheregister oder Lebenspartnerschaftsregister der Person führt. Ergibt sich danach keine Zuständigkeit, so ist das Standesamt zuständig, in dessen Zuständigkeitsbereich die Person ihren Wohnsitz hat oder zuletzt hatte oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat. Ergibt sich auch danach keine Zuständigkeit, so ist das Standesamt I in Berlin zuständig. Das Standesamt I in Berlin führt ein Verzeichnis der nach den Sätzen 3 und 4 entgegengenommenen Erklärungen.


    (5) Das Standesamt stellt der erklärenden Person eine Urkunde über die Änderung des Personenstandseintrages aus. Auf Antrag erhalten auch Personen, deren Personenstandseintrag nach dem Transsexuellengesetz oder § 45b des Personenstandsgesetzes geändert worden ist, eine solche Urkunde.


    § 4
    Gerichtliches Verfahren

    Auf das gerichtliche Verfahren sind die Vorschriften nach Kapitel 8 Abschnitt 2 des Personenstandsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung entsprechend anzuwenden.


    § 5
    Wirkungen der Entscheidung

    Ab dem Zeitpunkt der Entgegennahme der Erklärung durch das Standesamt, dass die erklärende Person als einem anderen oder keinem Geschlecht im Sinne des § 22 Absatz 3 des Personenstandsgesetzes zugehörig anzusehen ist, im Falle der entsprechenden Anwendung des § 49 des Personenstandsgesetzes ab dem Zeitpunkt der Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung, richten sich ihre vom Geschlecht abhängigen Rechte und Pflichten nach dem neuen Geschlecht, soweit durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist.


    § 6
    Folgeerklärungen

    Die §§ 1 bis 5 gelten auch für Personen, die eine Erklärung zur Geschlechtszugehörigkeit oder zu ihren Namen in der Vergangenheit bereits wirksam abgegeben haben oder zu ihrer ursprünglich eingetragenen Geschlechtsangabe oder ihren ursprünglich eingetragenen Namen zurückkehren möchten.


    § 7
    Offenbarungsverbot

    (1) Ab dem Zeitpunkt der Entgegennahme einer Erklärung gemäß § 3 Abs. 1 durch das Standesamt dürfen die von der erklärenden Person zuvor geführten Namen von niemandem in diskriminierender oder schädigender Absicht verwendet werden oder darf sich von niemandem in diskriminierender oder schädigender Absicht auf die vorherige Geschlechtszuordnung der erklärenden Person bezogen werden.


    (2) Die vor Entgegennahme der Erklärung geführte Geschlechtszuordnung und die zuvor geführten Namen dürfen ohne Zustimmung der erklärenden Person nicht offenbart oder ausgeforscht werden, es sei denn, dass besondere Gründe des öffentlichen Interesses oder ein glaubhaft gemachtes rechtliches Interesse dies erfordern.


    (3) Frühere Ehe- oder Lebenspartner, die Eltern, die Großeltern, die Geschwister und die Abkömmlinge der antragstellenden Person sind nur dann verpflichtet, die neuen Vornamen anzugeben, wenn dies für die Führung öffentlicher Bücher und Register erforderlich ist. Dies gilt nicht für Kinder, die die antragstellende Person nach der Erklärung gemäß § 3 Abs. 1 angenommen hat.


    (4) Staatliche Stellen und private Einrichtungen unterstützen die erklärende Person dabei, personenbezogene Daten, die noch unter dem vor der Erklärung gemäß § 3 Abs. 1 geführten Namen oder der zuvor geführten Geschlechtsidentität gespeichert sind, von diesen Bezügen zu befreien. Die Regelungen des Datenschutzrechts, insbesondere zur Löschung und Berichtigung personenbezogener Daten, bleiben unberührt.


    (5) Die Absätze 1 bis 4 gelten auch für Personenstandseinträge, die aufgrund der Vorschriften des Transsexuellengesetzes oder § 45b des Personenstandgesetzes geändert worden sind.

  • § 8

    Anspruch auf Dokumenten- und Datenberichtigung
    (1) Die nach einer Änderung des Namens oder der Geschlechtszuordnung von Amts wegen erfolgenden Änderungen in amtlichen Registern erstrecken sich auf von der Geschlechtszuordnung abgeleitete Buchstaben oder Zahlenkombinationen.


    (2) Unter Vorlage der Personenstandsänderungsurkunde nach § 3 Abs. 5 sind amtliche und nichtamtliche Dokumente, die vor der Änderung der Namen oder des Geschlechtseintrags ausgestellt wurden, den Änderungen entsprechend erneut auszustellen. Verantwortlich zur erneuten Ausstellung der Dokumente ist die öffentliche oder private Stelle oder Person, die das Ursprungsdokument ausgestellt hat oder, wenn diese Stelle nicht in der Lage, das Dokument erneut auszustellen, die Stelle oder Person, die zur Ausstellung einer Zweitschrift befugt ist. Vom Dokumenten- und Datenberichtigungsanspruch erfasst sind auch von der Geschlechtszuordnung abgeleitete Buchstaben- oder Zahlenkombinationen. Als Ausstellungsdatum des erneuerten Dokuments ist das Datum des ursprünglichen Dokuments zu vermerken.

    § 9
    Renten und vergleichbare wiederkehrende Leistungen

    Änderungen der Geschlechtszuordnung lassen in ihrem Zeitpunkt bestehende Ansprüche auf Renten und vergleichbare wiederkehrende Leistungen unberührt. Bei einer sich unmittelbar anschließenden Leistung aus demselben Rechtsverhältnis ist, soweit es hierbei auf das Geschlecht ankommt, weiter von den Bewertungen auszugehen, die den Leistungen bei Abgabe der Erklärung gegenüber dem Standesamt zugrunde gelegen haben. Ansprüche auf Leistung aus der Versicherung oder Versorgung eines früheren Ehegatten werden durch die Abgabe der Erklärung, sofern es für diese Ansprüche auf das Geschlecht der betroffenen Person ankommt, nicht begründet.


    § 10
    Verbot genitalverändernder chirurgischer Eingriffe

    (1) Eltern können nicht in einen operativen Eingriff an den inneren oder äußeren Geschlechtsmerkmalen ihrer Kinder einwilligen, wenn dies zu einer Veränderung der Genitalien führt; §1909 BGB ist nicht anzuwenden. Dies gilt nicht, wenn der Eingriff zur Abwendung einer Gefahr für das Leben oder einer erheblichen Gefahr für die Gesundheit des Kindes erforderlich ist. In diesem Fall bedarf die Einwilligung der Genehmigung des Familiengerichts.


    (2) Ein Kind, das das 14. Lebensjahr vollendet hat, kann abweichend von Absatz 1 Satz 1 in einen operativen Eingriff an den inneren oder äußeren Geschlechtsmerkmalen einwilligen. Die Einwilligung nach Satz 1 bedarf zusätzlich der Einwilligung der sorgeberechtigten Person oder der Genehmigung des Familiengerichts. Das Familiengericht erteilt die Genehmigung, wenn das Kind einwilligungsfähig ist und der Eingriff dem Wohl des Kindes nicht widerspricht. Der Eingriff widerspricht in der Regel dem Wohl des Kindes, wenn keine Beratung des Kindes stattgefunden hat.


    (3) In den Fällen des Absatzes 1 Satz 2 hat die behandelnde Person nach § 630a BGB die Patientenakte des Kindes für die Dauer von 30 Jahren nach Abschluss der Behandlung aufzubewahren.


    § 11
    Aufklärung und Beratung

    (1) Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung konzipiert, erstellt und verbreitet alters- und zielgruppenspezifische Informationsmaterialien zur Aufklärung und Sensibilisierung über die Rechte nach diesem Gesetz und ihre gesellschaftspolitischen Fragestellungen. Bei der Erstellung und Konzeption sind die zuständigen Stellen in den Bundesländern, Interessenvertretungen sowie Vertretungen von Beratungseinrichtungen, die zum Zwecke des Schutzes der freien und selbstbestimmten Entwicklung der Geschlechtsidentität und der Vermeidung gesundheitsschädigender Beeinträchtigungen des geschlechtlichen Selbstbestimmungsrechts arbeiten, einzubeziehen.


    (2) Jede Person hat das Recht, sich zu Fragen der Geschlechtsidentität, der Ausübung des Selbstbestimmungsrechts der Geschlechtszuordnung und des diskriminierungsfreien Umgangs mit Personen, die dieses Recht in Anspruch nehmen, von einer hierzu geeigneten Beratungsstelle auf Wunsch anonym informieren und ergebnisoffen beraten zu lassen.


    (3) Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend koordiniert die Sammlung und Veröffentlichung von nationalen und regionalen Beratungsangeboten und Materialien nach diesem Gesetz.


    (4) Die Länder stellen ein ausreichendes Angebot wohnortnaher Beratungsstellen für die Beratung sicher. Dabei werden auch Beratungsstellen freier Träger gefördert, insbesondere solche Stellen, in denen über die Zusammenarbeit mit Personen, die eigene Erfahrungen mit der Ausübung ihrer geschlechtlichen Selbstbestimmung haben, eine besondere Sensibilisierung besteht.


    § 12
    Ordnungswidrigkeiten

    (1) Ordnungswidrig handelt, wer 1. vorsätzlich entgegen § 7 Abs. 1 in diskriminierender oder schädigender Absicht den zuvor geführten Namen einer erklärenden Person verwendet oder sich in diskriminierender oder schädigender Absicht auf die vorherige Geschlechtszuordnung dieser Person bezieht oder 2. ohne hierzu berechtigt zu sein, vorsätzlich oder grob fahrlässig gegen ein Offenbarungsverbot gemäß § 7 Absatz 2 verstößt.

    (2) Ordnungswidrigkeiten nach Absatz 1 können mit einer Geldbuße bis zu zweitausendfünfhundert Euro geahndet werden.


    (3) Verwaltungsbehörde im Sinne des § 36 Absatz 1 Nummer 1 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten ist die von der Landesregierung bestimmte Behörde. Die Landesregierung kann die Ermächtigung auf die zuständige oberste Landesbehörde übertragen.


    Artikel 3

    Änderung des Personenstandsgesetzes
    Das Personenstandsgesetz vom 19. Februar 2007 (BGBl. I S. 122), das zuletzt durch Artikel 17 des Gesetzes vom 20. November 2019 (BGBI. I S. 1626) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:


    1. § 45b wird aufgehoben.


    2. § 63 wird Absatz 2 wie folgt gefasst:
    „Sind die Namen einer Person auf Grund des Gesetzes zur Selbstbestimmung über die Geschlechtsidentität vom […] geändert oder ist die Angabe zu ihrem Geschlecht in einem deutschen Personenstandseintrag durch eine andere in § 22 Absatz 3 vorgesehene Bezeichnung ersetzt oder gestrichen worden, so darf abweichend von § 62 eine Personenstandsurkunde aus dem Geburtseintrag nur der betroffenen Person selbst und eine Personenstandsurkunde aus dem Ehe- oder Lebenspartnerschaftseintrag nur der betroffenen Person selbst sowie ihrem Ehegatten oder Lebenspartner erteilt werden. Diese Beschränkungen entfallen mit dem Tod der betroffenen Person. § 7 und § 8 Absatz 1 des Gesetzes zur Selbstbestimmung über die Geschlechtsidentität bleiben unberührt.“


    Artikel 4
    Änderung des fünften Buches Sozialgesetzbuches

    Das Fünfte Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Krankenversicherung – (Artikel 1 des Gesetzes vom 20. Dezember 1988, BGBl. I S. 2477, 2482), das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 10. Februar 2020 (BGBl. I S. 148) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:


    1. In der Überschrift des Dritten Abschnitts werden nach dem Wort „Selbsthilfe“ die Wörter „Leistungen bei Geschlechtsinkongruenz und Intergeschlechtlichkeit“ eingefügt.


    2. Nach § 20k wird folgender § 20l eingefügt.
    㤠20l Leistungen bei Geschlechtsinkongruenz und Intergeschlechtlichkeit

    Intergeschlechtliche Versicherte sowie Versicherte mit Geschlechtsinkongruenz haben Anspruch auf geschlechtsangleichende Maßnahmen einschließlich Hormontherapie sowie der Angleichung der primären und sekundären Geschlechtsmerkmale. Das Nähere zum Kreis der Anspruchsberechtigten und zum Umfang der notwendigen Leistungen regelt der Gemeinsame Bundesausschuss in Richtlinien nach § 92.“


    3. In § 92 Absatz 1 wird nach Nummer 15 folgende Nummer 16 angefügt: „16. Leistungen bei Geschlechtsinkongruenz und Intergeschlechtlichkeit nach § 20l“.


    4. In § 92 wird nach § 6b folgender § 6c eingefügt:

    㤠6c

    Der Gemeinsame Bundesausschuss beschließt bis spätestens zwölf Monate nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Stärkung der geschlechtlichen Selbstbestimmung erstmals eine Richtlinie nach § 92 Absatz 1 Nr. 16. Vor der Entscheidung ist den bundesweiten Verbänden von trans- und intergeschlechtlichen Personen, den für die Leistungserbringung relevanten pharmazeutischen Unternehmern und Medizinprodukteherstellern und deren Spitzenorganisationen auf Bundesebene sowie den betroffenen medizinischen Fachgesellschaften Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.“


    Artikel 5
    Änderung des Passgesetzes

    Das Passgesetz vom 19. April 1986 (BGBl. I S. 537), das zuletzt durch … geändert worden ist, wird wie folgt geändert:

    1. § 4 wird wie folgt geändert:
    a) Absatz 1 Satz 4 wird wie folgt gefasst:

    „Abweichend von Satz 3 ist einer Person, die sich um einen Pass bewirbt, für die kein Geschlechtseintrag im Personenstandsregister besteht oder deren Geschlecht mit „divers“ eingetragen ist, auf Antrag ein Pass mit der Angabe weiblich oder männlich auszustellen.“


    b) Absatz 2 Nummer 8 wird wie folgt gefasst: „8. die Abkürzung ‚F‘ für Personen mit einem weiblichen Geschlechtseintrag, ‚M‘ für Personen mit einem männlichen Geschlechtseintrag und ‚X‘ für Personen mit einem Geschlechtseintrag ‚divers‘ oder ‚ohne Eintrag‘.“


    2. § 6 Absatz 2a wird wie folgt geändert:

    a) Satz 1 wird wie folgt gefasst: „Beantragt eine Person nach § 4 Absatz 1 Satz 4 die Eintragung eines von seinem Geburtseintrag abweichenden Geschlechts im Pass, so kommt dieser Eintragung keine Rechtswirkung zu.“


    b) Satz 2 wird aufgehoben.


    Artikel 6
    Inkrafttreten

    Dieses Gesetz tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft.

  • Begründung


    A. Allgemeiner Teil

    I. Zielsetzung

    Das Recht auf Anerkennung der geschlechtlichen Identität ist Teil des allgemeine Persönlichkeitsrechts, das sich aus der Menschenwürde, Art. 1 Absatz 1 GG, in Verbindung mit dem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit aus Artikel 2 Absatz 1 GG ergibt. Es wurde durch die Rechtsprechung von BGH und BVerfG entwickelt und umfasst die geschlechtliche Selbstbestimmung, insbesondere die Bildung und Behauptung der eigenen geschlechtlichen Identität. Zu dieser gehört auch das Finden, Erkennen und Ausleben der eigenen geschlechtlichen Identität, die das Bundesverfassungsgericht gemeinsam mit der sexuellen Orientierung unter dem Begriff der sexuellen Selbstbestimmung fasst und so dem Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes und hier sogar dem „intimsten Bereich der Persönlichkeit“ zuordnet (BVerfG, Beschluss v. 06.12.2005, – 1 BvL 3/03 –, BverfGE 115, 1 (14); Beschluss v. 27.05.2008, – 1 BvL 10/05 -, NJW 2008, 3117 (3117)). An die Rechtfertigungsgründe für eine Beeinträchtigung dieses Recht, das einen besonders intimen Bereich der Persönlichkeit betrifft, sind – nach dem Maßstab des BVerfG – besonders hohe Anforderungen zu stellen. Diesen Anforderungen wird das aktuelle Transsexuellengesetz (TSG) nicht gerecht. Über seine Ausgestaltung, aber auch über vorhandene Lücken, erlaubt es transgeschlechtlichen Personen kein selbstbestimmtes Leben.


    Das aktuelle TSG wurde auf dem Kenntnisstand der 1970er-Jahre formuliert, nach welchem „Transsexualität“ als psychische Störung galt, die den unbedingten Wunsch chirurgischer Geschlechtsangleichung beinhaltete. Der Ausgestaltung des TSG liegt die Annahme zugrunde, es gäbe nur die biologischen Geschlechter „Frau“ und „Mann“. Bei der „transsexuellen Prägung“ bzw. „Transsexualität“ handelte es sich nach damaliger Ansicht um eine eindeutig diagnostizierbare psychische Störung, der eigen ist, dass eine betroffene Person sich dauerhaft dem anderen als dem bei Geburt zugewiesenen Geschlecht zugehörig fühlt und daher sozial in der gesellschaftlichen Rolle des empfundenen Geschlechts leben möchte. Den Körper wolle sie durch weitgehende körperliche Veränderungen anpassen. Dem ursprünglichen Wortlaut des Gesetzes lässt sich weiterhin die Vermutung entnehmen, dass transgeschlechtliche Personen zwingend eine dem empfundenen Geschlecht entsprechend verschiedengeschlechtliche sexuelle Orientierung besitzen. Obwohl das Verfahren zur Änderung von Namen und Personenstand auf personenstandsrechtlicher Ebene zu führen ist, kam es durch die, den oben genannten Annahmen entsprechenden, Ausgestaltung des aktuellen TSG zu einer Verknüpfung mit medizinisch-psychiatrischer Diagnostik, insbesondere über die Begutachtung als Voraussetzung für die Änderung des Namens und des Personenstands. Die Begutachtung knüpft an dieselben Kriterien an wie die medizinische Diagnostik und wird dementsprechend auch regelhaft psychiatrisch oder zumindest psychotherapeutisch arbeitenden Begutachtenden übertragen.


    Die Annahme, dass Transgeschlechtlichkeit eine psychische Störung sei, kann nach heutigem Stand der Wissenschaft nicht mehr vertreten werden. Jahrelange diesbezügliche Forschung spiegelt sich nicht zuletzt in der 2019 von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) veröffentlichten Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD-11) wider, in der „Transsexualität“ von der Liste „psychischer Verhaltens- und
    Entwicklungsstörungen“ gestrichen wurde.

    Insbesondere die Begutachtungspflicht vor einem Namens- oder Personenstandswechsel soll mit dem Gesetzentwurf aufgehoben werden – nicht nur wegen der nicht mehr zeitgemäßen, fälschlichen Pathologisierung, sondern auch, weil die zeitlichen und psychischen Belastungen durch Begutachtungsverfahren erhebliche Eingriffe in Grund- und Menschenrechte darstellen. Das betrifft insbesondere in das durch Artikel 2 Absatz 1 i. V. m. Artikel 1 Absatz 1 GG geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht, das Recht auf Achtung des Privatlebens aus Artikel 8 EMRK und das Recht auf Gleichbehandlung aus Artikel 3 Absatz 1 GG und Artikel 14 EMRK i. V. m. Artikel 8 EMRK. Die Fremdbegutachtung widerspricht dem Recht auf sexuelle Selbstbestimmung. Sie widerspricht weiterhin hierauf gründenden internationalen Forderungen nach einem Antragsverfahren ohne Fremdbegutachtung und weltweit stattfindenden Rechtsentwicklungen in diese Richtung.

    Seit 2015 empfiehlt der Europarat seinen Mitgliedstaaten über die Resolution 2048, dass Personen „schnell und transparent“ eine Änderung der Geschlechtsangabe und des Namens in offiziellen Dokumenten vornehmen lassen können (http://assembly.coe.int/nw/xml…2HTML-EN.asp?fileid=21736 =en). Das Verfahren solle allein auf der selbstbestimmten Entscheidung der jeweiligen Person beruhen – ohne Zwang zu vorherigen psychologischen Begutachtungen,
    medizinischen Behandlungen oder Operationen. Vergleichbare Vorschriften sind 2012 in Argentinien und 2014 in Malta verabschiedet worden. Andere Mitgliedstaaten des Europarats sind den Empfehlungen der Resolution 2048 bereits gefolgt. So
    haben Staaten, die in jüngster Zeit die Voraussetzungen der Vornamens- und Personenstandsänderung reformiert haben, die Begutachtungspflicht den Empfehlungen des Europarats folgend bereits abgeschafft (http://www.bmfsfj.de/blob/1140…e5456f6cf2ebdb73a966f0c4/imag-band-7- regelungs--und-reformbedarf-fuer-transgeschlechtliche-menschen---band-7-data.pdf, S. 165).


    Seit Erlass des TSG hat das Bundesverfassungsgerichts in sechs Entscheidungen bereits einzelne Bestimmungen des Gesetzes für verfassungswidrig erklärt, die folglich nicht mehr anwendbar sind (BVerfG, Beschl. v. 16.03.1982, – 1 BvR 938/81 –, BVerfGE 60, 123; Beschl. v. 26.01.1993, – 1 BvL 48/40, 43/92 –, BVerfGE 88/87; Beschl. v. 06.12.2005 – 1 BvL 3/03 –, 115, 1; Beschluss v. 18.07.2006 – 1 BvL 1/04 – BVerfGE 116, 243; Beschluss v. 25.07.2008 – 1 BvL 10/05 –, BVerfGE 121, 175 und Beschluss v. 11.01.2011, – 1 BvR 3295/07 –, BVerfGE 128, 109). Vom aktuellen TSG ist ein Gesetzesrumpf übriggeblieben, der in seiner Struktur nicht mehr als taugliche, praktikable Gesetzesgrundlage für die Verfahren zur Namens- und Personenstandsänderung dienen kann. Neben der dringenden Reformbedürftigkeit des TSG bietet es darüber hinaus keine umfassende Lösung für den gesamten Regelungsbedarf zur Stärkung der Selbstbestimmung über die geschlechtliche Identität einschließlich der Gesundheitsversorgung, eines effektiven Diskriminierungsschutzes und der Gewährleistung sozialer Teilhabe über Aufklärung und Beratung. Obwohl medizinische Leitlinien und der Deutsche Ethikrat seit Jahren von genitalverändernden chirurgischen Eingriffe an intergeschlechtlichen Kindern abraten, finden laut einer jüngst veröffentlichten Studie der Ruhr Universität Bochum weiterhin zahlreiche dieser Eingriffe statt (https://omp.ub.rub.de/index.ph…catalog/view/113/99/604-2).


    Ausweislich aller zur Lebenssituation transgeschlechtlicher und intergeschlechtlicher Personen und ihren Familien und Angehörigen durchgeführten Studien ist die Aufklärung des persönlichen Umfelds, von Behörden und Institutionen einer der wichtigsten Faktoren für einen gelingenden Schutz der Geschlechtsidentität und zur Verhinderung von Diskriminierung und Traumatisierung (Adamietz/Bager, „Regelungs- und Reformbedarf für transgeschlechtliche Menschen“, 2017, s. C., Anhang 3, Teil 2, und Anhang 4). Bereits 2009 wurde den Mitgliedstaaten des Europarates vom Menschenrechtskommissar die Empfehlung ausgesprochen, auf „die Menschenrechte von transgender Personen und die Diskriminierung aufgrund von Geschlechtsidentität mittels Menschenrechtserziehung und Trainingsprogrammen sowie Sensibilisierungskampagnen“ hinzuweisen (Europarat, Kommissar für Menschenrechte Thomas Hammarberg, Issue Paper Human Rights and Gender Identity, Strasbourg, 29.07.2009, CommDH/IssuePaper(2009)2) und diese Empfehlung 2011 wiederholt (Empfehlungen des Europarats-Kommissars für Menschenrechte Thomas Hammarberg, Discrimination on grounds of sexual orientation and gender identity in Europe, 2nd Edition (2011)). Als entsprechende Zielgruppen sind unter anderem Einzelpersonen, schulische und berufsbildende Einrichtungen, Beratungsstellen, ärztliches Personal sowie medizinische Einrichtungen, Institutionen der Jugend- und Bildungsarbeit, aber auch etwa Strafvollzugsanstalten zu definieren. Das Zurverfügungstellen von Informationsmaterial für Beschäftigte im Bildungs-, Gesundheits- und Justizwesen entspricht der Forderung der Parlamentarischen Versammlung des Europarates (http://assembly.coe.int/nw/xml…2HTML-EN.asp?fileid=21736 =en). 〈


    Nach der Resolution 2048 der Parlamentarischen Versammlung des Europarates sind die Mitgliedstaaten zur Gewährleistung eines stigmafreien Zugangs zu chirurgischen, hormonellen und psychologischen Behandlungen aufgefordert, die finanziell durch das Gesundheitssystem getragen werden. Prinzipiell gilt auch in Deutschland bereits nach geltendem Recht, dass medizinische Maßnahmen der Selbstbestimmung der zu behandelnden Person unterliegen. Um dieses Recht auf Selbstbestimmung konsequent geltend zu machen und den Empfehlungen des Europarats Folge zu leisten, muss es allen Personen – unabhängig der eigenen finanziellen Kapazitäten – möglich sein, geschlechtsangleichende Maßnahmen einschließlich Hormontherapie sowie der Angleichung primärer und sekundärer Geschlechtsmerkmale über eine Leistungsübernahme der Krankenkassen in Anspruch zu nehmen.


    Der vorliegende Gesetzentwurf ersetzt das aktuelle TSG und den aktuellen § 45b PStG, schließt bestehende Lücken und fasst gebündelt alle Rechtsänderungen zusammen, die für die Selbstbestimmung über die geschlechtliche Identität nötig

    sind. Es wird ein Paradigmenwechsel von einer medizinisch-psychiatrischen Stigmatisierung hin zur Selbstbestimmung vollzogen, der international gefordert und in vielen anderen Ländern bereits umgesetzt worden ist. Grundgedanke und Leitbild des vorliegenden Gesetzentwurfes ist dabei, dass die Rechte gegen Stigmatisierung und Diskriminierung und die Anerkennung des Selbstbestimmungsrechtes über die Geschlechtszuordnung menschen- und grundrechtlich geschützt sind. Staatliche Schutzpflichten gebieten es, die Wahrnehmung und Ausübung dieser Rechte ohne unverhältnismäßige Einschränkungen zu ermöglichen. Der Schutz und die Anerkennung von Geschlechtsidentität und des Rechtes auf geschlechtliche Selbstbestimmung als gesellschaftspolitische Aufgabe sollen durch den vorliegenden Gesetzentwurf unterstützt werden

    II. Wesentlicher Inhalt des Entwurfes

    Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf werden das aktuelle Transsexuellengesetz und der § 45b PStG abgeschafft und durch ein Gesetz zur Selbstbestimmung über die Geschlechtsidentität ersetzt. Die Änderung der Namen, die auf das Geschlecht hinweisen, sowie die formelle Änderung des Personenstands werden über eine Erklärung gegenüber dem Standesamt ohne weitere Begutachtungspflichten und Gerichtsverfahren ermöglicht. Das Familiengericht kommt zur Wahrung des Selbstbestimmungsrechts lediglich in Fällen der Nichtzustimmung der sorgeberechtigten Personen und im Falle einer durch das Standesamt rechtswidrig abgelehnten Erklärung zum Einsatz. Ein Anspruch auf Dokumenten- und Datenberichtigung nach einer Erklärung vor dem Standesamt wird gesetzlich verankert. Ein erweitertes, bußgeldbewehrtes Offenbarungsverbot bietet betroffenen Personen zusätzlichen Schutz vor Diskriminierung und unfreiwilliger Bloßstellung. Zur Gewährleistung ausreichender und flächendeckender Aufklärungs- und Beratungsmöglichkeiten wird die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung damit beauftragt, alters- und zielgruppenspezifische Informationsmaterialien zur Aufklärung und Sensibilisierung über die Rechte nach diesem Gesetz zu konzipieren, zu erstellen sowie zu verbreiten. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend wird mit der Koordination von Sammlung und Veröffentlichung von Beratungsangeboten und Materialien beauftragt. Genitalverändernde chirurgische Eingriffe an intergeschlechtlich geborenen Kindern werden verboten, sofern sie nicht zur Abwendung einer Gefahr für das Leben oder einer erheblichen Gefahr für die Gesundheit des Kindes erforderlich sind. Das Personenstandsgesetz wird mit dem Gesetzentwurf durch die Streichung des § 45b und in § 63 Absatz 2 geändert. Mit vorliegendem Gesetzentwurf werden außerdem medizinische Leistungsansprüche bei Geschlechtsinkongruenz und Intergeschlechtlichkeit im SGB V verankert. Versicherte haben demnach Anspruch auf geschlechtsangleichende Maßnahmen einschließlich Hormontherapie sowie der Angleichung primärer und sekundärer Geschlechtsmerkmale. Das Paßgesetz wird so geändert, dass im Reisepass fortan die Möglichkeit der Geschlechtsangabe „X“ möglich ist. Reisenden mit dem Geschlechtseintrag „divers“ oder keinem Geschlechtseintrag kann außerdem ein Pass mit der Angabe „männlich“ oder „weiblich“ ausgestellt werden

    III. Alternativen

    Keine.

    IV. Gesetzgebungskompetenz

    Die Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes ergibt sich aus Artikel 74 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 12 des Grundgesetzes.

    Das Gesetz bedarf nicht der Zustimmung des Bundesrates

    V. Vereinbarkeit mit dem Recht der Europäischen Union und völkerrechtlichen Verträgen

    Der Gesetzentwurf ist mit dem Recht der Europäischen Union und völkerrechtlichen Verträgen, die die Bundesrepublik Deutschland geschlossen hat, vereinbar.

    VI. Gesetzesfolgen

    1. Erfüllungsaufwand
    Durch den Wegfall der Voraussetzung gutachterlicher Überprüfung für die Änderung des Namens oder des Geschlechtseintrages ist mit einem Anstieg der Erklärungen zu rechnen. Durch das vereinfachte Verfahren ist jedoch mit einer deutlichen Verringerung des Aufwandes für die Bearbeitung des einzelnen Antrages zu rechnen, so dass insgesamt mit einem Minderaufwand der Verwaltung zu rechnen ist. Kosten entstehen für die Information über die rechtlichen Möglichkeiten der betroffenen Personen sowie für weitere Aufklärungs- und Beratungsangebote. Den gesetzlichen Krankenkassen entstehen Kosten für die Übernahme von Leistungen im Rahmen der Anpassung von Geschlechtsmerkmalen.


    2. Weitere Gesetzesfolgen
    Eine Verwirklichung des Rechts auf geschlechtliche Selbstbestimmung ist zu erwarten.

  • B. Besonderer Teil

    Zu Artikel 1 (Aufhebung des Transsexuellengesetzes)

    Das aktuelle Transsexuellengesetz ermöglicht transgeschlechtlichen Personen in Deutschland kein selbstbestimmtes Leben. Zahlreiche Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts erklärten einzelne Voraussetzungen des TSG für verfassungswidrig und folglich unanwendbar. Weiterhin bietet das aktuelle TSG keine umfassenden Lösungen für den gesamten Regelungsbedarf, der besteht, um die geschlechtliche Selbstbestimmung auch hinsichtlich der geschlechtlichen Identität zu verwirklichen.

    Zu Artikel 2 (Gesetz zur Selbstbestimmung über die Geschlechtsidentität)

    Zu § 1 Begriffsbestimmungen
    Es werden die Begriffe „Geschlechtsidentität“ und „Geschlechtszuordnung“ legal definiert. Während der Begriff „Geschlechtsidentität“ alle geschlechtsbezogenen Aspekte der subjektiv empfundenen Identität umfasst, ist mit dem Begriff Geschlechtszuordnung die Zuordnung einer Person zu einem Geschlecht durch die Rechtsordnung gemeint.


    Zu § 2 Selbstbestimmung über die Geschlechtszuordnung, Wahrung der Geschlechtsidentität, Rechte
    Die Rechte auf Schutz vor Stigmatisierung und Diskriminierung und die Anerkennung des Selbstbestimmungsrechtes der Geschlechtszuordnung sind menschen- und grundrechtlich geschützt. Staatliche Schutzpflichten gebieten es, die Wahrnehmung und Ausübung dieser Rechte ohne unverhältnismäßige Einschränkungen zu ermöglichen. Der Schutz und die Anerkennung von Geschlechtsidentität und des Rechtes auf geschlechtliche Selbstbestimmung als gesellschaftspolitische Aufgabe müssen staatlich unterstützt werden. Die Absätze 1 bis 5 konkretisieren diese verfassungsrechtlichen Recht und Schutzpflichten. Absatz 6 bietet eine Klarstellung, dass eine Anerkennung der Geschlechtsidentität und der Zugang zu Verfahren der Änderung der Namen oder des Geschlechtseintrags unabhängig von körperlichen Maßnahmen zu erfolgen hat.


    Zu § 3 Erklärung zur Geschlechtszugehörigkeit und Namensführung
    Die Norm ermöglicht es Personen, eine Änderung oder Streichung des Geschlechtseintrages und eine Änderung aller Namen, die einen Hinweis auf das Geschlecht geben, im Personenstandsregister und damit im Rechtsverkehr herbeizuführen. Geändert werden können neben Vornamen auch Nachnamen, die an das Geschlecht der Person, die sie trägt, angeglichen werden. Dies sind etwa Nachnamen der slawischen oder russischen Sprache oder Namen, die Bestandteile aus ehemaligen Adelstiteln herleiten. Die Erklärungsvoraussetzungen entsprechen denjenigen nach dem aufzuhebenden § 45b Absätze 1 und 2 PStG. Für die Änderung der Namen und die Änderung oder Streichung des Geschlechtseintrages ist ein Antrag auf Änderung nicht erforderlich. Ausreichend ist ein Erklärung gegenüber dem Standesamt, denn die Entscheidung über die Änderungen im Personenstandsregister liegen nicht im Ermessen des Standesamtes.


    Absatz 2 stellt klar, dass eine Erklärung nur durch die erklärende Person selbst abgegeben werden kann und nicht durch die Sorgeberechtigten. Dies trägt dem Umstand Rechnung, dass es sich bei dem Recht um ein höchstpersönliches Recht handelt. Dem Sorgerecht wird dadurch Rechnung getragen, bei Minderjährigen bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres die Sorgeberechtigten der Erklärung zustimmen müssen. Ab dem Alter von 14 Jahren können Personen die Tragweite der Entscheidung allein abschätzen. Das Erfordernis einer Zustimmung der Eltern und bei Nichtzustimmung die Ersetzung der Zustimmung durch das Familiengericht können hingegen eine in der Adoleszenz hohe Hürde darstellen, die der häufig empfundenen Dringlichkeit in der Umsetzung der bereits getroffenen Entscheidung über eine Erklärung vor dem Standesamt in unnötigem Maß entgegenwirkt. Aufgrund der Möglichkeit einer Folgeerklärung ist die Entscheidung zudem nicht irreversibel.


    Absatz 3 stellt sicher, dass sich Betroffene Bedeutung und Tragweite ihrer Entscheidung zur Wahl eines anderen oder gar keines Geschlechtseintrages im Personenstandsregister sowie der Änderung ihrer Namen hinreichend bewusst sind. Es können auch Geschäftsunfähige die Erklärung nach Absatz 1 abgeben, da es bei erwachsenen Menschen oder Jugendlichen lediglich auf die Fähigkeit zur Bildung und Betätigung des natürlichen Willens zur Herbeiführung des selbstbestimmten Entschlusses zur Abgabe der Erklärung ankommen soll. Der Maßstab der bürgerlichrechtlichen Geschäftsfähigkeit ist insofern nicht anzuwenden.


    Absatz 4 regelt die Zuständigkeit des jeweiligen Standesamtes. Sie entspricht der Regelung des aufzuhebenden § 45b PStG.

    Absatz 5 regelt die Ausstellung einer Urkunde über die Änderung des Personenstandseintrages im Personenstandsregister durch das zuständige Standesamt. Dabei werden sowohl Namensänderungen als auch Anpassungen am Geschlechtseintrag in einer Urkunde bescheinigt, mit der die erklärende Person ihre Identität im Rechtsverkehr beweisen kann. Personen, deren Personenstandseintrag vormals über das Transsexuellengesetz oder den aufzuhebenden § 45b Personenstandsgesetz geändert wurde, kann auf Antrag ebenfalls eine solche Urkunde ausgestellt werden. Dies geschieht jedoch nicht von Amts wegen.


    Zu § 4 Gerichtliches Verfahren
    Für den Fall, dass das zuständige Standesamt die Entgegennahme der Erklärung oder Änderung des Registereintrages ablehnt, gelten für das gerichtliche Verfahren die Vorschriften des Kapitels 8 Abschnitt 2 Personenstandsgesetzes (§§ 48 – 53 PStG) in der jeweils geltenden Fassung entsprechend.


    Zu § 5 Wirkungen der Entscheidung
    Die Rechtswirkungen der Entgegennahme der Erklärung, im Falle eines gerichtlichen Verfahrens die Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung, zwingen sowohl zur Behandlung im Rechtsverkehr nach Maßgabe der neuen Geschlechtsbezeichnung als auch zur Änderung der Eintragung im Personenstandsregister.


    Zu § 6 Folgeerklärungen
    Nach bereits erfolgter Erklärung zur Änderung oder Streichung des Geschlechtseintrags oder beziehungsweise als auch zur Änderung von Namen nach diesem Gesetz, haben Personen die Möglichkeit, in einer Folgeerklärung die Angaben erneut zu ändern oder zu ursprünglichem Geschlechtseintrag oder beziehungsweise als auch zu ursprünglichem Namen zurückzukehren. Aus anderen Staaten, die ebenfalls eine niedrigschwellige Möglichkeit zur erneuten Änderung eingeführt haben (bspw. Dänemark, Malta, Norwegen, Schweden), sind keine Fälle missbräuchlicher Antragstellung bekannt. Auf zusätzliche Voraussetzungen für Folgeerklärungen wird daher verzichtet. Das gilt auch von der Rückkehr zu den ursprünglich eingetragenen Angaben.


    Zu § 7 Offenbarungsverbot
    Absatz 1 enthält ein allgemeines Schädigungs- und Diskrimininierungsverbot, das sich sowohl an staatliche Stellen wie auch Private richtet. Die Gesellschaft stellt sich damit hinter die Selbstbestimmung einer Person über ihre Geschlechtsidentität und schützt sie umfassend vor Diskriminierung und Nachteilen, die ihr bewusst wegen dieses Schrittes zugefügt werden.


    Absatz 2 greift das Offenbarungsverbot des § 5 Absatz 1 TSG auf, dessen Ziel es ebenfalls ist, Diskriminierungen durch eine unnötige Offenbarung von Informationen, die eine Änderung der Geschlechtszuordnung offenlegen, zu verhindern. Die Regelung wird ergänzt um ein Offenbarungsverbot über den früheren Personenstand.


    Absatz 3 übernimmt § 5 Absatz 2 TSG und ergänzt den privilegierten Personenkreis um die Geschwister und nun auch explizit frühere Lebenspartner. Sie befinden sich in einer vergleichbaren Situation wie die anderen in § 5 Absatz 2 TSG genannten Personengruppen.


    Absatz 4 statuiert eine allgemeine Pflicht aller staatlichen und privaten Einrichtungen, die betroffene Person dabei zu unterstützen, personenbezogene Daten, die noch eine Verbindung zu ihrer früheren geschlechtlichen Identität erlauben, entsprechend den allgemeinen datenschutzrechtlichen Regelungen zu berichtigen oder zu löschen. In vielen Konstellationen wird sich aus Art. 16 DSGVO ein Berichtigungsanspruch bzw. aus Art. 17 DSGVO ein Löschungsanspruch ergeben, da die Verarbeitung des Datums „Geschlecht“ überhaupt nicht erforderlich ist oder weil eine Zuordnung von früheren Vorgängen über andere Merkmale wie Matrikel- oder Kundennummern oder in einer Weise erfolgen kann, die den Kreis der Personen eng begrenzt, die Zugriff auf Informationen haben, die einen Hinweis auf die Änderung der Geschlechtszuordnung geben. Durch diese Pflicht trägt der Gesetzgeber der enormen Bedeutung der Durchsetzung des Rechts auf Berichtigung und Löschung für die betroffenen Personen Rechnung. In der Praxis laufen sie sonst Gefahr, immer wieder mit Bezügen zu ihrer früheren geschlechtlichen Identität konfrontiert zu werden, obwohl es hierfür keinen sachlichen Grund gibt.


    Absatz 5 stellt klar, dass die Regelungen des § 7 nicht nur für zukünftige Änderungen der Geschlechtszuordnung nach diesem Gesetz gelten, sondern auch für frühere Personenstandsänderungen nach dem TSG oder dem ehemaligen § 45b Personenstandsgesetz.


    Zu § 8 Anspruch auf Dokumenten- und Datenberichtigung
    Absatz 1 stellt klar, dass nicht nur Personenstandsdaten in amtlichen Registern geändert werden müssen, sondern auch Änderungen von Buchstaben- und Zahlenkombinationen vorgenommen werden müssen, aus denen sich das Geschlecht ergibt. So ist etwa die Sozial- bzw. Rentenversicherungsnummer geschlechtlich codiert. In Absatz 2 wird der bereits aus § 5 TSG in Verbindung mit zivil- und arbeitsrechtlichen Grundsätzen abgeleitete Anspruch auf Dokumenten- und Datenberichtigung ausdrücklich normiert. Durch die ausdrückliche Normierung im Gesetz soll es erleichtert werden, den Anspruch geltend zu machen und durchzusetzen.


    Zu § 9 Eltern-Kind-Verhältnis
    Absatz 1 entspricht im Wesentlichen dem früheren § 11 des Transsexuellengesetzes, lässt jedoch auch das Rechtsverhältnis zu angenommenen Kindern anders als jene Vorschrift ungeachtet der Abgabe der Erklärung unberührt.


    Absatz 2 trägt dem Bedürfnis des Kindes und des Elternteils, dessen Namen oder die Geschlechtszuordnung geändert worden sind – unabhängig davon, auf welcher Rechtsgrundlage die Änderung erfolgt ist – Rechnung, in den Fällen, in denen im Alltag die Geburtsurkunde des Kindes vorzulegen ist (etwa bei der Schulanmeldung), nicht unfreiwillig bloßgestellt zu werden. Diskriminierungserfahrungen des Kindes und des Elternteils sollen so vermieden werden.


    Absatz 3: In Übertragung der Regelung des Transsexuellengesetz zu den nach einer Personenstandsänderung angenommenen Kindern, bei denen ein transgeschlechtliches Elternteil in seiner anerkannten Geschlechtszuordnung in die Geburtsurkunde eingetragen wird, muss auch bei Kindern, die von einem transgeschlechtlichen Elternteil nach der Personenstandsänderung geboren oder gezeugt werden, das aktuell eingetragene Geschlecht vermerkt werden.

    In Einklang zu bringen sind das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung, wie auch das Bedürfnis, rechtlich einem existierenden Elternteil zugewiesen und vor weiteren Persönlichkeitsverletzungen geschützt zu werden. Diesen kann nur angemessen Rechnung getragen werden, indem die Eltern in ihrer sozialen Rolle in die Geburtsurkunde eingetragen werden. Es wird sichergestellt, dass die Rechte einer gebärenden Person z. B. auf Mutterschutz nach dem Mutterschutzgesetz unabhängig vom Geschlechtseintrag bestehen. Zudem wird klargestellt, dass eine Person nach den Regelungen für das Geschlecht nach dem früheren Geschlechtseintrag in die Elternstellung einrückt. Die Regelung gilt auch bei Personenstandsänderungen nach dem ehemaligen Transsexuellengesetz.


    Zu § 10 Renten und vergleichbare wiederkehrende Leistungen
    Die Vorschrift stellt wie der frühere § 12 des Transsexuellengesetzes sicher, dass Renten oder andere wiederkehrende Leistungen – auch, soweit es dabei auf eine Geschlechtszugehörigkeit der betroffenen Person ankam – von der Abgabe der Erklärung unberührt bleiben. Weiterhin sollen auch Versicherungs- und Versorgungsleistungen gegen frühere Ehepartner, die vom Geschlecht der Person abhängig sind, durch den Wechsel zu einem anderen Geschlechtseintrag nicht begründet werden. Diese Vorschriften gelten auch für die Personen, die nach dem ehemaligen Transsexuellengesetz oder dem ehemaligen § 45b PStG ihre Geschlechtszuordnung angepasst haben.


    Zu § 11 Verbot genitalverändernder chirurgischer Eingriffe
    Das Verbot genitalverändernder chirurgischer Eingriffe dient dem umfassenden Schutz des Kindes auf geschlechtliche Selbstbestimmung und körperliche Unversehrtheit. Es wird sichergestellt, dass die Personensorge der Eltern nicht die Befugnis umfasst, in operative Eingriffe an den inneren und äußeren Geschlechtsmerkmalen des Kindes einzuwilligen, wenn diese zur Änderung der Genitalien des Kindes führen. Intergeschlechtlich geborene Kinder haben das Recht auf freie Entfaltung und Entwicklung ihrer Persönlichkeit. Genitalverändernde chirurgische Eingriffe ohne medizinische Notwendigkeit sind ein gravierender Eingriff in die Autonomie der Kinder sowie deren Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit. Die Entscheidung ob der Notwendigkeit eines solchen Eingriffs muss allein der betroffenen Person vorbehalten sein.


    Eine Einwilligung soll nur dann ausnahmsweise zulässig sein, wenn der Eingriff zur Abwendung einer Gefahr für das Leben oder einer erheblichen Gefahr für die Gesundheit des Kindes erforderlich ist. In solchen Fällen mit dringender ärztlicher Operationsempfehlung prüft das Familiengericht die Erforderlichkeit des Eingriffs und erteilt gegebenenfalls eine Genehmigung. Dieses Genehmigungsverfahren ist zum Schutz des Kindes zwingend vorgeschrieben.


    Absatz 2 regelt, dass Kindern, die das 14. Lebensjahr vollendet haben, bei Zustimmung der sorgeberechtigten Person ermöglicht wird, geschlechtsangleichende Operationen an den inneren oder äußeren Geschlechtsmerkmalen durchführen zu lassen. Im Gegensatz zu den Regelungen nach § 3 Absatz 2 zur Änderung des Personenstandeintrages bedarf es bei der Entscheidung über einen operativen Eingriff bis zur Volljährigkeit weiterhin der Zustimmung der sorgeberechtigten Person, da es sich hier um einen irreversiblen Eingriff handelt. Die Möglichkeit der Entscheidung über geschlechtsangleichende Operationen dient der Stärkung der geschlechtlichen Selbstbestimmung Jugendlicher, deren körperliche Merkmale nicht ihrer Geschlechtsidentität entsprechen. Sollte die sorgeberechtigte Person genannten Eingriffen nicht zustimmen, können sich Jugendliche an das Familiengericht wenden, welches seine Zustimmung geben kann, sofern das Kind einwilligungsfähig ist, sein Wohl nicht gefährdet ist und es entsprechend beraten wurde.


    Im Hinblick darauf, dass die Eingriffe oftmals an sehr jungen Kindern vorgenommen werden, regelt der Absatz 3, dass die in § 630f Absatz 3 BGB grundsätzlich auf 10 Jahre festgelegte Aufbewahrungsfrist von Patientenakten für genitalverändernde chirurgische Eingriffe auf 30 Jahre verlängert wird (vergleiche Sk2-Leitlinie Varianten der Geschlechtsentwicklung, Juli 2016, Empfehlung 6). Die Verlängerung der Aufbewahrungsfrist für die betreffenden Patientenakten auf 30 Jahre soll den Betroffenen die Möglichkeit geben, sich auch im Erwachsenenalter noch Informationen über etwaige bei ihnen durchgeführte genitalverändernde chirurgische Eingriffe zu verschaffen.


    Eine Strafandrohung für genitalverändernde chirurgische Eingriffe ist nicht erforderlich, weil diese als Körperverletzung strafbar sind. Für Eltern, die Ärzte zu einer solchen Tat veranlassen kommt eine Strafbarkeit wegen Anstiftung zur Körperverletzung in Betracht.

    Zu § 12 Aufklärung und Beratung

    Absatz 1 überträgt der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung die Aufgabe der Erstellung und Verbreitung alters- und zielgruppenspezifischen Informationsmaterialien für alle Aspekte, die im vorliegenden Gesetz berücksichtigt sind. Wegen des Sachzusammenhangs zum Themenbereich Geschlecht/Sexualität und zu diesbezüglichen Beratungsstrukturen soll die Zuständigkeit bei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung angesiedelt werden, sodass dort bereits vorhandene Expertise in Geschlechterfragen erweitert werden könnte und Synergien über die vorhandenen Informationsstrukturen erreicht werden können.


    Absatz 2 sichert den Anspruch auf psychosoziale Beratung, die dazu beitragen soll, das Selbstbestimmungsrecht ungehindert auszuüben und Unterstützung zu bieten für den Umgang mit belastenden Lebenssituationen, um einer erschwerten Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und damit einhergehenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen bis hin zu schweren psychischen Erkrankungen vorzubeugen.


    Absatz 3 siedelt die Kompetenz der Koordination von Sammlung und Veröffentlichung von nationalen und regionalen Beratungsangeboten und Materialien beim Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend an.


    Absatz 4 stellt sicher, dass das Beratungsangebot in Deutschland flächendeckend ausgebaut wird, auch über die Förderung freier Träger, insbesonderer solcher, in denen Personen tätig sind, die selbst Erfahrung in der Ausübung ihrer geschlechtlichen Selbstbestimmung haben.


    Zu § 13 Ordnungswidrigkeiten
    Verstöße gegen das Diskriminierungsverbot, das Schädigungsverbot und das Offenbarungsverbot des § 7 Abs. 1 und 2 werden nach dieser Vorschrift als Ordnungswidrigkeiten geahndet. Absatz 2 führt dazu eine Bußgeldbewehrung ein. Das Diskriminierungsverbot, das Schädigungsverbot und das Offenbarungsverbot entfalten ohne Bußgeldbewehrung nicht ausreichend Wirkung. Zivilrechtliche Schadens- oder sonstige Ersatzansprüche bleiben davon unberührt.

    Zu Artikel 3

    Der bisherige § 45b aus dem aktuellen Personenstandsgesetz wird gestrichen. Der bisherige Verweis in § 63 auf das Transsexuellengesetz wird ersetzt und stellt sicher, dass es auch über die Erteilung von Personenstandsurkunden nicht zu einer Ausforschung Betroffener kommen kann.

    Zu Artikel 4

    Über eine Änderung des SGB V wird ein Anspruch auf Leistungen bei Geschlechtsinkongruenz und Intersexualität rechtssicher verankert. Weitere Vorgaben zu Voraussetzungen (bspw. der Ausschluss von die Entscheidungsfähigkeit einschränkenden psychischen Erkrankungen) und notwendigen Beratungsleistungen sind in der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses zu präzisieren. Die Vorgaben des noch zu beschließenden Gesetzes zum Schutz von Kindern vor geschlechtsverändernden operativen Eingriffen gelten uneingeschränkt.

    Zu Artikel 5

    Absatz 1 schafft eine Sonderregelung im Paßgesetz, die es einer Person, die den Geschlechtseintrag „divers“ oder keinen Geschlechtseintrag hat, auf Antrag erlaubt, einen Pass mit dem Geschlechtseintrag „männlich“ oder „weiblich“ ausgestellt zu bekommen. Dies soll vor Diskriminierung der Person in Ländern dienen, die lediglich die binären Geschlechtsangaben anerkennen. Im Reisepass besteht mit diesem Gesetz nun auch die Möglichkeit zur Angabe der Geschlechtsangabe „X“ für Personen mit dem Geschlechtseintrag „divers“ oder ohne Geschlechtseintrag. Die Änderung folgt den Vorgaben zur Spezifikation von Reisedokumenten der Europäischen Union (Verordnung (EG) 2252/2004 in Verbindung mit Dokument Nr. 9303 der Internationalen Zivilluftfahrtorganisation – ICAO).


    Absatz 2 ändert den § 6 Absatz 2a des Paßgesetzes redaktionell. Satz 1 der Ergänzung in § 4 Absatz 1 wird angepasst und Satz 2 wird aufgehoben.

    Zu Artikel 6

    Die Vorschrift bestimmt das Inkrafttreten dieses Gesetzes. Eine Übergangsregelung für laufende Verfahren nach dem Transsexuellengesetz ist nicht erforderlich, weil diese sich erledigen. In Verfahren über Änderungen des Personenstandeintrages nach § 45b Personenstandsgesetz kann die Erklärung nach § 45b Personenstandsgesetz in eine Erklärung nach § 3 dieses Gesetzes umgedeutet werden.


    Berlin, den 16.02.2021

    Yannick Bürgermann und Fraktion

    • Offizieller Beitrag
    Deutscher Bundestag Drucksache 3/015
    3. Wahlperiode 05.03.2021



    Beschlussempfehlung

    des Ausschusses für Gemeinwesen


    zum dem Gesetzentwurf

    - Drucksache 03/004


    Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der geschlechtlichen Selbstbestimmung


    A. Beratungsverlauf

    Aussprache: SPD

    B. Lösung

    keine


    Annahme des Gesetzentwurfes mit den Stimmen der Fraktionen der FDP, SPD, Linken, Union und Grünen bei keinen Gegenstimmen und keiner Enthaltung


    C. Alternativen

    Annahme des Antrages


    D. Kosten

    Siehe Anlage des Gesetzentwurfes.


    Beschlussempfehlung

    Der Bundestag wolle beschließen,

    den Gesetzentwurf anzunehmen.


    Berlin, den 28.04.2021


    Der Ausschuss für Gemeinwesen

    Walter-Bodo von der Vogelweide

  • Felix Weird

    Hat das Label von Beschlussempfehlung auf Angenommen geändert.