Deutscher Bundestag | Drucksache 3/004 |
3. Wahlperiode | 16.02.2021 |
Gesetzentwurf
der Abgeordneten Yannick Bürgermann, Aaron Förster, Prof. Ben Hagen, Phoenix Schmid, Marc Slober, Dr. Luca Welle und der Fraktion der FDP
Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der geschlechtlichen Selbstbestimmung
A. Problem und Ziel
Menschen, deren Geschlechtsmerkmale nicht mit ihrer Geschlechtsidentität übereinstimmen, haben in Deutschland die Möglichkeit, sich medizinisch und juristisch einer Transition zu unterziehen. Das juristische Änderungsverfahren wird in Deutschland durch das sogenannte Transsexuellengesetz (TSG) normiert. Das TSG trat im Jahr 1981 im Zuge einer gesellschaftlichen Liberalisierung in Kraft. Es sieht zwei Optionen für Menschen vor, deren Geschlechtsidentität nicht mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht übereinstimmt: Die Änderung des Namens in einen Namen des anderen Geschlechts sowie die formelle Änderung der Geschlechtszugehörigkeit über den Personenstand. Voraussetzung für die Änderung des Namens sind nach derzeitiger Rechtslage zwei Gutachten von Sachverständigen, die mit diesem Gebiet ausreichend vertraut und voneinander unabhängig tätig sind. Diese müssen bestätigen, dass die antragstellende Person seit mindestens drei Jahren unter dem Zwang leidet, entsprechend ihrer vom Personenstand abweichenden Geschlechtsidentität zu leben. Die Entscheidung, ob der Name geändert werden kann, trifft das dafür zuständige Amtsgericht auf Grundlage der Gutachten. Die gleichen Voraussetzungen gelten für eine Änderung des Personenstands. Bis 2011 waren operative Maßnahmen zur Veränderung des Geschlechts sowie Fortpflanzungsunfähigkeit Voraussetzung für die Änderung des Personenstands. Obwohl das Bundesverfassungsgericht diese Voraussetzungen als verfassungswidrig und folglich unanwendbar erkannt hat (1 BvR 3295/07), sind sie aus dem Wortlaut des aktuellen TSG nicht gestrichen worden.
Die Hürden für die Änderung des Geschlechtseintrages und die Änderungen des Namens sind weiterhin hoch. So wird die Begutachtung durch Sachverständige von den antragstellenden Personen häufig als entwürdigend empfunden. Das Verfahren der Namensänderung und der formellen Geschlechtsanpassung kann mehrere Monate oder Jahre dauern und ist für die antragstellenden Personen oft psychisch belastend. Die Verfahrenskosten von bis zu mehreren tausend Euro müssen häufig selbst getragen werden.
Nicht nur hinsichtlich der Voraussetzungen für die Namens- und Personenstandsänderung ist das aktuelle TSG dringend reformbedürftig. Der Regelungsbedarf im Zusammenhang mit Transgeschlechtlichkeit geht weit über die Änderung des Namens und des Personenstands hinaus. Unzureichend geregelt sind darüber hinaus die Elternschaft transgeschlechtlicher Personen, das Offenbarungsverbot des früheren Geschlechts und Namens, die Gesundheitsversorgung sowie ausreichende und flächendeckende Aufklärungs- und Beratungsangebote.
Eine Reform des TSG wird in Deutschland seit langem sowohl von den Betroffenen, aber auch von Wissenschaft und Politik gefordert. Das aktuelle TSG basiert auf einer medizinischdiagnostischen Vorstellung von „Transsexualität“ als psychischer Erkrankung, die nach den aktuellen Erkenntnissen der Sexualforschung und der 2019 veröffentlichten Internationalen
statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD-11) der Weltgesundheitsorganisation (WHO) nicht mehr zu vertreten ist.
Seit 2015 empfiehlt der Europarat seinen Mitgliedstaaten über die Resolution 2048, dass Personen „schnell und transparent“ eine Änderung der Geschlechtsangabe und des Namens in offiziellen Dokumenten vornehmen lassen können sollen. Das Verfahren solle allein auf der selbstbestimmten Entscheidung der jeweiligen Person beruhen – ohne Zwang zu vorherigen psychologischen Begutachtungen, medizinischen Behandlungen oder Operationen. Zahlreiche Staaten haben in jüngster Zeit die Vornamens- und Personenstandsänderung reformiert, indem sie die Begutachtungspflicht abgeschafft haben. Seit 2018 ist es Menschen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung auch in Deutschland möglich, über den § 45b des Personenstandsgesetzes Vornamen und Geschlechtseintrag der eigenen Geschlechtsidentität entsprechend anzupassen. Laut Bundesregierung und Urteil des Bundesgerichtshofs (XII ZB 383/19) ist die Anwendung des §45b PStG jedoch auf intergeschlechtliche Personen beschränkt.
Transgeschlechtlichen Menschen ist die Selbstbestimmung über die geschlechtliche Identität in Deutschland weiterhin nicht möglich. Auch intergeschlechtliche Menschen sind in ihrer geschlechtlichen Selbstbestimmung weiterhin eingeschränkt. Obwohl medizinische Leitlinien und der Deutsche Ethikrat seit Jahren davon abraten, finden weiterhin genitalverändernde chirurgische Eingriffe an intergeschlechtlichen Kindern statt. Sie sind ein gravierender Eingriff in die Autonomie und körperliche Unversehrtheit. Intergeschlechtlichen Personen ist es weiterhin noch nicht möglich, ihren Geschlechtseintrag oder die Entscheidung gegen einen Geschlechtseintrag im eigenen Reisepass widerzuspiegeln.
B. Lösung
Um allen Personen gleichermaßen Selbstbestimmung über die geschlechtliche Identität zu ermöglichen, schafft der Gesetzentwurf das bisherige Transsexuellengesetz sowie den § 45b
des Personenstandsgesetz ab. Alternativ führt er ein neues „Gesetz zur Selbstbestimmung über die Geschlechtsidentität“ ein, welches allen Personen die Selbstbestimmung über die geschlechtliche Identität erlaubt.
Medizinische Leistungsansprüche bei Geschlechtsinkongruenz und Intergeschlechtlichkeit werden im SGB V verankert. Genitalverändernde Operationen an intergeschlechtlichen Kindern werden wirksam verboten, sofern sie nicht zur Abwendung einer Gefahr für das Leben oder einer erheblichen Gefahr für die Gesundheit des Kindes dienen. Das Paßgesetz wird so geändert, dass künftig auch die Geschlechtsangabe „X“ möglich ist.
C. Alternativen
Keine.
D. Haushaltsausgaben ohne Erfüllungsaufwand
Keine.
E. Erfüllungsaufwand
Durch den Wegfall der Voraussetzung gutachterlicher Überprüfung für die Änderung der Namen oder des Geschlechtseintrages kann es zu einem Anstieg der Anträge auf Änderung des Geschlechteintrages kommen. Durch das vereinfachte Verfahren ist jedoch mit einer deutlichen Verringerung des Aufwandes für die Bearbeitung des einzelnen Antrages zu rechnen, so dass insgesamt mit einem Minderaufwand der Verwaltung zu rechnen ist.
Kosten entstehen für die Information über die rechtlichen Möglichkeiten sowie für weitere Aufklärungs- und Beratungsangebote.
Den gesetzlichen Krankenkassen entstehen Kosten für die Übernahme von Leistungen im Rahmen der Anpassung von Geschlechtsmerkmalen.