Malte Lanßen Verfassungsrichter
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Manfred Klausbrück

    Dissertation

    von Malte Lanßen



    Öffentlichkeit, öffentliche Meinung, Schweigespirale + Ausdifferenzierung der Kommunikationswissenschaft


    Die Ebenen der Öffentlichkeit nach Jarren und Donges stellen eine soziologische Sichtweise auf die Öffentlichkeit dar. In der Spontanöffentlichkeit der Encounterebene kommt es zu spontanen Begegnungen mit bekannten oder unbekannten Personen. Die höchste Form der Encounterebene ist die Betriebsöffentlichkeit, dort treffen sich Menschen, die zum Beispiel im gleichen Unternehmen beschäftigt sind, jedoch trotzdem spontan. Über eine Selektionsstufe kann die nächste Ebene erreicht werden, jedoch schafft dies nur ein kleiner Teil. In der Themenöffentlichkeit treffen sich Personen organisiert oder Spontan, jedoch aus einem bestimmten Anlass, welcher im Vordergrund steht, zum Beispiel bei einer Demonstration. Über eine weitere Selektionsstufe kann dies in die Medienöffentlichkeit gelangen und Leit- und Folgemedien berichten darüber.

    Die Binnendifferenzierung der politischen Öffentlichkeit nach Gerhards (1993) unterscheidet zwischen vier Teilöffentlichkeiten. Bei der Kommunikation au trottoir sind die Sprecherrollen nicht voneinander getrennt, die strukturelle Basis bilden Interaktionssysteme und es findet auf der Ebene der Meinungsfreiheit statt. Veranstaltungen haben ihre strukturelle Basis in thematisch zentrierten Interaktionssystemen und finden auf der Ebene der Versammlungsfreiheit statt. Proteste besitzen stärker ausdifferenzierte Sprecherrollen, basieren auf thematisch zentrierten Handlungssystemen und finden auf der Ebene der Demonstrationsfreiheit statt. Massenmedien befinden sich auf der Ebene der Pressefreiheit, basieren auf Organisationsstrukturen und weisen die stärkste Differenzierung von Sprecherrollen auf.

    Zwischen Privatheit und Öffentlichkeit gibt es eine historische und sozial-kulturelle Varianz. Zum einen ist unklar wer in der Öffentlichkeit anwesend ist, zum anderen vermischen sich Privates und Öffentliches immer mehr. Nach dem Sphärenmodell gibt es demnach eine intime, private, gemeinschaftliche, und öffentliche Sphäre. Privates kann unabsichtlich, zum Beispiel durch ein Telefonat in der Bahn, in die Öffentlichkeit gelangen, aber auch bewusst/gewollt durch Social Media oder Reality-TV. Dabei gibt es eine Unterscheidung zwischen gemeinter und erreichter Öffentlichkeit, also zwischen den Personen, die man erreichen möchte und denen, die man tatsächlich erreicht. Dadurch kann es auch zum unbewussten/ungewollten Teilen der eigenen Privatheit, aber auch der Enthüllung fremder Privatheit kommen. Es muss dabei immer zwischen öffentlichem Interesse und öffentlicher Sicherheit abgewogen werden.

    Nach Noelle-Neumann ist eine öffentliche Meinung „jene Meinung, die man ohne Gefahr von Sanktionen öffentlich aussprechen und der entsprechend man öffentlich sichtbar handeln kann[…]. Mit einer kürzeren Formel kann man öffentliche Meinung als herrschende Meinung umschreiben, die zu ihrer Beachtung in Verhalten und Handeln zwingt, indem sie den Zuwiderhandelnden […] mit Isolation bedroht.“ Isolationsfurcht und die Tendenz, dass konträre Meinungen eher zurückgehalten werden als andere, ist empirisch belegt. Es ist jedoch auch belegt, dass nicht alle Menschen ihre Meinung aus Isolationsfurcht nicht öffentlich mitteilen.

    Basierend auf dieser Definition ist auch der Prozess der Schweigespirale aufgebaut. Die Schweigespirale sieht vor, dass sich die dominante Meinung durchsetzt. Dies geschieht dadurch, dass eine Person A eine eigene Meinung zum Thema X hat und diese mit der von ihm wahrgenommenen Umweltmeinung zu diesem Thema vergleicht. Die Wahrnehmung der Umweltmeinung ist vor allem durch die Mehrheitsmeinung und Zukunftseinschätzungen aber auch durch direkte Umweltwahrnehmung und Massenmedien geprägt. Aufgrund dieser Wahrnehmung schätzt Person A ab, ob ihre Meinung konsonant oder dissonant ist. Je kleiner die Varianz zwischen der Meinung von Person A und der von ihr Wahrgenommenen Umweltmeinung, desto weniger Isolationsfurcht entsteht, weshalb auch die Redebereitschaft steigt. Die Äußerung der Meinung von Person A beeinflusst auch das Bild der Umweltmeinung von anderen Personen. Durch den Einfluss der Massenmedien können jedoch Personen glauben, dass eine Meinung die Mehrheitsmeinung ist, obwohl das nicht stimmt.

    Allerdings weise die Begründung der Schweigespirale Lücken auf, da an manchen Stellen empirisch unzulässige Schlüsse gezogen wurden und auch nicht in allen Aspekten empirisch belegbar ist. Das Internet stellt in diesem Zusammenhang einen großen Freiheitsgewinn dar, jedoch gibt es dadurch auch weniger soziale Kontrolle und durchaus auch Fake-News-Spiralen. Zudem widerspreche die Annahme, dass sich die dominante Meinung durchsetze, laut Beck anderen Ereignissen wie der Wiedervereinigung der DDR und der BRD 1989/90 oder Wahlen bei denen es überraschend zu einem Regierungswechsel kam und kommt. Noelle-Neumann begründe das mit der Existenz von moralischen Helden, Beck hält dieses Argument jedoch für sehr schwach. Zudem ist die Isolationsfurcht kein Faktor der den Wahlausgang geheimer Wahlen beeinflusst, da niemand Isolation aufgrund seiner Wahl in der Wahlkabine fürchten müsse.

    Wissenschaften definieren sich über ihr Erkenntnisinteresse und ihre Methoden. Das Erkenntnisinteresse besteht hingegen aus dem Formalobjekt und dem Materialobjekt. Das Formalobjekt ist eigentlich das Objekt von Interesse, in der Kommunikationswissenschaft ist das die Kommunikation. Das Materialobjekt stellen jene Objekte dar, die zur Erkenntnis des Formalobjekts nötig sind, in der Kommunikationswissenschaft sind das zum Beispiel die Medien und Publizistik. Dementsprechend bedient sich die Kommunikationswissenschaft auch Methoden der Medien- und Publizistikwissenschaft.

    Für die Kommunikationswissenschaft ist es wichtig ein enges Verständnis von Kommunikation zu haben um das Erkenntnisinteresse präzise bestimmen zu können und nicht ins unermessliche zu treiben. In der Kommunikationswissenschaft herrscht zudem Methoden- und Theorienpluralismus, weshalb auch Methoden und Theorien aus anderen Teildisziplinen verwendet werden. Die Kommunikationswissenschaft ist jedoch eine Geistes- und Sozialwissenschaft und beschäftigt sich hauptsächlich mit Theorien mittlerer Reichweite.

    Kommunikationswissenschaft ist entgegen der Erwartung vieler kein neues Fach. Tatsächlich gibt es dieses Fach schon seit über 100 Jahren, jedoch unter verschiedenen Namen und mit verschiedenen Ausrichtungen. In den USA gab es im Jahr 1870 die erste Vorlesung über Journalismus. In Europa findet die erste Vorlesung 1884 in Basel statt, Karl Bücher referiert dort über Presse als Lehrauftrag. Wenige Jahre später findet in Heidelberg ein journalistisches Seminar statt. 1910 schlägt schließlich Max Weber auf dem Soziologentag ein „Enquête über das Zeitungswesen“ vor, welcher aufgrund des ersten Weltkrieges jedoch nie verwirklicht wurde. Die damalige Zeitungswissenschaft ist von einzelnen Gelehrten zum Gegenstand gemacht worden und hat sich dadurch etabliert.

    Die Institutionalisierung des Faches beginnt in Deutschland durch die Idee von Edgar Herfurth, Verleger der „Leipziger Neuesten Nachrichten“, ein Institut der Zeitungskunde in Leipzig zu errichten und der Umsetzung mit Karl Bücher als Professor. 1915 erscheint die erste deutsche Fachzeitschrift in Berlin. 1919 erhält Karl d´Ester die erste Lehrberechtigung für „Geschichte des Zeitungswesens und der öffentlichen Meinung“. Martin Spahn gründet 1920 in Köln das Institut für Zeitungskunde. Durch ein preußisches Ministerium wird dann 1924 ein „Deutsches Institut für Zeitungskunde“ gegründet, welches seit 1927 durch die Deutsche Gesellschaft für Zeitungskunde getragen wird, wichtige Personen waren dort zunächst Martin Mohr und später Emil Dovifat. Emil Dovifat war in der Weimarer Republik, in der NS-Zeit und in der Nachkriegszeit als Professor tätig. Während der NS-Zeit war er ein Mitläufer und hat sich nicht gegen die Vertreibung jüdischer Kollegen gewehrt, auch nicht gegen andere Maßnahmen. Die freie Forschung und Lehre ist während der NS-Zeit nicht möglich gewesen. Jüdische Wissenschaftler wurden entweder Vertrieben oder gingen von sich aus ins Exil. Die sozialwissenschaftliche Forschung über Medien war zudem unerwünscht. In den Werken von Dovifat ist zudem Opportunismus erkennbar, da er bestimmte Formulierungen zu bestimmten Zeiten gewählt aber auch wieder gestrichen hat. Die Zeitungswissenschaft hat sich damals von selbst gleichgeschaltet und hat nicht auf Beschlüsse der NS-Führung gewartet. Gleichwohl sehr viele Wissenschaftler sich damals angepasst haben, sind ihre Werke nicht pauschal falsch, auch wenn es ideologische Anteile gibt, die zu kritisieren sind.

    Nach der Teilung Deutschlands entwickelt sich das Fach zweigleisig weiter. In der BRD findet eine Versozialwissenschaftlichung statt, welche auch stark durch Elisabeth Noelle-Neumann vorangetrieben wurde. Noelle-Neumann gründet schließlich in den sechziger Jahren ein Institut in Mainz. Gerhard Maletzke entwickelt sein Werk „Psychologie der Massenkommunikation“ (1963) und Fritz Eberhard sein Werk „Der Rundfunkhörer und sein Programm“ (1962). Der Name Eberhard von Fritz Eberhard ist jedoch ein Kunstname, da er als überzeugter Sozialdemokrat Während der NS-Zeit im Exil arbeitete. Später erfolgte die Gründung einer Fachgesellschaft, der DGPuK (Deutsche Gesellschaft für Politik und Kommunikationswissenschaft). In der DDR war das Fach jedoch sehr stark auf Journalismus ausgelegt und zudem von Ideologie geprägt. Insgesamt war das Fach sehr eng an Staat und Partei angegliedert. Der Fokus lag auf der Entwicklung eines sozialistischen Journalismus, Empirie hat dort keine entscheidende Rolle gespielt.