DS 3/015 Einsetzung eines Klimabürgerrates für NRW (B90/Die Grünen)

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Manfred Klausbrück

    • Offizieller Beitrag
    LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN Drucksache 3/015
    3. Wahlperiode 05.04.2021



    Antrag

    des Abgeordneten Hobert Rabeck und Fraktion Bündnis 90/Die Grünen

    Einsetzung eines Klimabürgerbeirates


    Der Landtag wolle beschließen:


    1. Der Landtag fordert die Landesregierung auf, einen Bürgerrat zu der Fragestellung einzu­richten: „Wie kann NRW sozial gerecht, ökologisch nachhaltig, ökonomisch sinnvoll und als Teil von Deutschland seinen Beitrag zum Pariser Klimaabkommen leisten um auf den 1,5-Grad-Pfad zu gelangen?“
    2. Dem Klimabürgerrat soll eine gemäß soziodemographischer Kriterien (Alter, Geschlecht, Einkommen, Bildungsabschluss, Stadt/Land, Zuwanderungserfahrung, Handicap) reprä­sentative Gruppe von Personen angehören, die für ihre Tätigkeit im Klimabürgerrat die notwendige Unterstützung durch das Land erhalten.
    3. Dem Klimabürgerrat wird ein Gremium unabhängiger Wissenschaftlerinnen und Wissen­schaftler zur Seite gestellt, die den Input mitbestimmen sowie die Diskussionen fachlich begleiten sollen.
    4. Die Durchführung, d.h. Moderation des Bürgerrats, obliegt einer politisch unabhängigen Organisation, die auf Bürgerbeteiligung spezialisiert ist. Die Auswahl der Expertinnen und Experten erfolgt über einen wissenschaftlichen Beirat.
    5. Der Klimabürgerrat führt seine Debatten unabhängig. Er übergibt seine Empfehlungen nach Abschluss seiner Arbeit an Landtag und Landesregierung. Diese verpflichten sich, der Öffentlichkeit die Umsetzung oder Nichtumsetzung der jeweiligen Empfehlungen zu begründen.
    6. Die Landesregierung stellt die für den Klimabürgerrat erforderlichen Mittel zur Verfügung.


    Begründung:


    Die Lösung der Klimakrise ist eine Menschheitsaufgabe. Sie erfordert tiefgreifende gesell­schaftliche Veränderungen. Mit einer frühen und breit angelegten Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger kann die Unterstützung der Menschen für die notwendigen Maßnahmen gesichert werden, wenn die Ergebnisse und Empfehlungen sich auch in politischen Entscheidungen wi­derspiegeln. Moderne Partizipationsverfahren ermöglichen es, Konflikte auszuräumen, bevor sie entstehen.

    Diese Chancen sollten gerade bei der Klimaschutzpolitik ergriffen werden. Für NRW ist der Veränderungsdruck im Vergleich zu anderen Bundesländern angesichts hoher Bevölkerungs­dichte und energieintensiver Wirtschaftsstrukturen besonders hoch. Die notwendigen Maß­nahmen werden den Alltag der Menschen verändern: Anlagen zur Erzeugung Erneuerbarer Energie werden in unserem dichtbesiedelten Land nahezu flächendeckend für die Menschen sichtbar sein. Die Häuser, in denen wir leben, müssen gedämmt werden und eine nachhaltige Heizung bekommen. Die Mobilitätssysteme und das Mobilitätsverhalten werden sich grundle­gend ändern. Nicht zuletzt werden sich die Unternehmen und damit die Arbeitsplätze von Mil­lionen Bürgerinnen und Bürgern hin zu klimaneutraler Wertschöpfung verändern müssen, ohne dass die Unternehmen in andere Regionen abwandern.


    Hinzu kommt, dass diese tiefgreifenden Veränderungen enorm schnell ablaufen müssen. Um die Ziele des Pariser Klimaabkommens einzuhalten, bleiben für den Umstieg auf eine klima­neutrale Gesellschaft inzwischen kaum mehr als zwei Jahrzehnte. Doch Bundes- und Landes­regierungen scheuen bisher Maßnahmen, die diesem Zeitdruck angemessen sind. Die not­wendigen Veränderungen bergen naturgemäß Konfliktpotenzial, dem man sich offenbar nicht zu stellen wagt und mangelnde Akzeptanz der Maßnahmen befürchtet.


    In dieser Situation können Bürgerräte politische Entscheidungsträgerinnen und -träger darin unterstützen einzuschätzen, welche Maßnahmen in der Bevölkerung auf Zustimmung stoßen und wie Konflikte aufgelöst werden können. Darüber hinaus erfüllen sie weitere Funktionen. Denn Demokratie lebt von Beteiligung. Der drohende Vertrauensverlust in die Demokratie kann durch mehr und bessere Beteiligung in direktdemokratischen und deliberativen Verfah­ren aufgefangen werden. Mit einer stärkeren Beteiligung geht die begründete Hoffnung auf eine Wiederbelebung aller Elemente der demokratischen Kultur einher. Eine mediale Befas­sung kann darüber hinaus den Kreis der Beteiligten um den Kreis von Informierten erweitern. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass in vielen etablierten Beteiligungsformaten oft die Einbindung „politikferner“ Gruppen vernachlässigt wird. Insbesondere der Bildungshintergrund und die finanzielle Situation der Bürgerinnen und Bürger sind Parameter für unterrepräsen­tierte Partizipation. Aber auch Geschlecht, Alter und Migrationserfahrungen wirken sich auf die Beteiligung aus.


    Die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland wünschen sich eine stärkere Einbindung in politi­sche Prozesse. Laut einer repräsentativen Umfrage des Instituts YouGov im Auftrag des Re­daktionsnetzwerks Deutschland wünschten sich im September 2017 insgesamt 72 Prozent der Befragten die Einführung weiterer plebiszitärer Elemente (also Abstimmungen und For­mate der politischen Beteiligung jenseits von Wahlen) in der Bundesrepublik. Bürgerräte stel­len als Instrument der deliberativen Demokratie eine sinnvolle Ergänzung zu den etablierten Formaten direkter Demokratie und der repräsentativen Demokratie dar.


    Auf Bundesebene fand zwischen Januar und Februar dieses Jahres der Bürgerrat „Deutsch­lands Rolle in der Welt“ statt. Im Sommer 2021 wird auf Bundesebene ein zivilgesellschaftlich organisierter Bürgerrat auf Initiative von Scientists for Future durchgeführt. In Frankreich hat der Bürgerrat zur Klimakrise „Convention Citoyenne pour le Climat“ im vergangenen Sommer seine Arbeit abgeschlossen. In Großbritannien wurde ein Bürgerrat zum Umgang mit der Kli­makrise vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie bis Herbst 2020 durchgeführt. Spanien und andere europäische Länder planen vergleichbare Verfahren. Auf Ebene der Länder könnte Nordrhein-Westfalen mit einem Klimabürgerrat vorangehen.


    Bei weitreichenden Entscheidungen, wie sie die Bekämpfung der Klimakrise erfordert, sollten die Erfahrungen, Vorschläge und Erwartungen der Menschen in einem Bürgerrat einbezogen werden. Bei einem Bürgerrat erhalten per Zufallsauswahl ermittelte Bürgerinnen und Bürger in enger Anbindung an die Politik, unter Beteiligung von Fachexpertinnen und -experten und unterstützt durch eine professionelle Moderation die Möglichkeit, Strategien, Pläne und Maß­nahmen zu diskutieren und abzuwägen. Am Ende steht ein für weite Teile der Bevölkerung tragfähiges Ergebnis, das durch die Politik umgesetzt werden kann.


    Die Auswahl der Bürgerinnen und Bürger erfolgt durch ein zweistufiges Verfahren. Zunächst wird ein Pool von Bürgerinnen und Bürgern gelost, aus denen dann eine Stichprobe ausge­wählt wird, die repräsentativ für die Bevölkerung Nordrhein-Westfalens ist in Hinblick auf Merk­mal wie Alter, Geschlecht, Herkunftsregion, Ortsgröße, Bildungsabschluss, Einkommen, Zu­wanderungsgeschichte und Hadicap. Durch dieses Verfahren ist gewährleistet, dass die Er­gebnisse des Bürgerrates nicht durch die Zusammensetzung einseitig ausfallen. Mit Wissen­schaftlerinnen und Wissenschaftlern, Vertreterinnen und Vertretern aus der Praxis, Verbänden und Zivilgesellschaft werden unter Beteiligung der gewählten Abgeordneten im geschützten Raum konkrete Vorschläge erarbeitet. Wie bei allen Beteiligungsprozessen müssen Umset­zungsmöglichkeiten und Ergebnisrahmen klar definiert sein. Die Entscheidung, ob und wie die Vorschläge umgesetzt werden, obliegt selbstverständlich dem gewählten Parlament. Bürger­räte sind daher nicht zu verstehen als Konkurrenz zum bestehenden demokratischen System, sondern als Ergänzung. Das sieht auch eine aktuelle Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung so (https://www.kas.de/documents/2…92a162a7e?t=1613393835932).


    Die im Bürgerrat vertretenen Bürgerinnen und Bürger erhalten die für ihre Tätigkeit notwendige Unterstützung, etwa Kostenübernahme, ggf. Freistellung, sofern erforderlich Kinderbetreuung oder Vorkehrungen und Assistenz für Inklusion. Zu den Gelingensbedingungen eines Bürger­rates gehört die Unterstützung durch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, damit die De­batte faktenbasiert geführt wird. Für deren Auswahl wurde in erfolgreich verlaufenen

    Bürgerräten ein wissenschaftlicher Beirat eingesetzt. Es braucht außerdem eine professio­nelle, unabhängige Moderation, die dafür sorgt, dass die Debatten fair und konstruktiv verlau­fen und alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer Gehör finden.



    Hobert Rabeck und Fraktion Bündnis90/ Die Grünen